Interview mit dem Ehrenamtlichen Thomas Wunderlich
Newsletter-Redaktion: Seit wie vielen Jahren sind Sie ehrenamtlich im Seniorenheim St. Afra tätig? Wie viel Zeit nimmt es in Anspruch?
T. Wunderlich: Ich bin seit Mai 2023 im Seniorenheim und komme einmal wöchentlich für circa 4 Stunden und zu gesonderten Terminen. Ich treffe mich mit einem Bewohner und spiele mit ihm Schach, wir unterhalten uns viel und manchmal unternehmen wir auch Ausflüge.
Newsletter-Redaktion: Nach welchen Werten leben und handeln Sie?
T. Wunderlich: Mir ist es wichtig, dass ich von unserer Gesellschaft nicht nur nehme, sondern auch etwas zurückgebe. Dazu muss man sagen, dass ich Buddhist bin. Dass es dazu kam, war ein schleichender Prozess. Die Ungerechtigkeit in dieser Welt, die Kriege, der Klimawandel, der zunehmende Konsum, der irgendwo anders auf der Welt Leid erzeugt, all das hat mich sehr betroffen gemacht. Ich suchte nach einem Weg, um damit besser umzugehen und fand ihn in den Lehren des Buddhismus.
Newsletter-Redaktion: Was hat Sie dazu bewegt das zu tun, was Sie heute tun?
T. Wunderlich: Im Buddhismus wird gelehrt, dass man zuerst bei sich selbst anfangen sollte, wenn man die Welt verbessern möchte. Ich habe mir das zu Herzen genommen und denke, wenn jeder nur ein bisschen was tut, kommt der große Stein letztlich auch ins Rollen.
Ich persönlich hatte in mehrerer Hinsicht Glück im Leben. Früher habe ich im Bereich IT gearbeitet und obwohl es damals noch sehr ungewöhnlich war, bin schließlich ich zuhause geblieben und habe die Care-Arbeit übernommen. Einer meiner Söhne hat das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom in ausgeprägter Form. Er brauchte viel Unterstützung und es war nicht möglich meinen alten Beruf wieder aufzunehmen, was sich bis heute nicht geändert hat. Dadurch verfüge ich aber auch über flexiblerer Zeitfenster und in Kombination mit den buddhistischen Lehren wollte ich der Gesellschaft in Form von Ehrenamt etwas zurückgeben.
Da wir es finanziell gut haben, hätte ich auch Geld spenden können, aber ich wollte mehr geben und beschloss deshalb meine Zeit zu spenden.
Ich habe ein Jahr lang recherchiert, weil ich wollte, dass es dann auch passt, bis ich schließlich über einen Beitrag auf eurer Website diesen Bewohner im Seniorenheim fand, der sich einen Schachpartner wünschte. Für mich gibt es zwei Gruppen in der Gesellschaft, die wirklich Unterstützung brauchen. Das sind Kinder und pflegebedürftige/ erkrankte Menschen.
Newsletter-Redaktion: Welches Schicksal im Seniorenheim hat Sie am meisten bewegt?
T. Wunderlich: Ich begegne hier immer wieder einer dementiell veränderten Frau, die ich schon in verschiedenen Situationen erlebt habe. Manchmal ruft sie nach einer Schwester oder nach jemand anderem. Ich habe sie auch schon dabei beobachtet, wie sie daran verzweifelte einen Reißverschluss zuzumachen und das verdeutlicht mir wie herausfordernd Kleinigkeiten werden können. Das hat Eindruck bei mir hinterlassen und ich frage mich immer wieder, ob manche Dinge, die ich früher für unheimlich wichtig hielt, es auch wirklich sind.
Newsletter-Redaktion: Haben Sie eine persönliche Vision?
T. Wunderlich: Wie schon gesagt, habe ich ja drei Söhne. Die sind gerade im Teenager-Alter und wie man sich denken kann, gibt es da wenig Berührungspunkte mit hilfs- und pflegebedürftigen Menschen. Ich wünsche mir, dass mein Ehrenamt hier einen positiven Einfluss auf ihre Wahrnehmung von dieser Personengruppe hat. Überhaupt entsteht der Abbau von Vorurteilen doch nur durch Begegnung, Austausch und dadurch, dass verschiedene Gruppen miteinander in den Dialog treten. Wenn meine Söhne mit ihren Freunden unterwegs sind und es fällt ein abfälliger Kommentar über eine ältere Person, vielleicht können sie durch meine Erfahrungen aus dem Ehrenamt dann intervenieren und Brücken schlagen.
Newsletter-Redaktion: Was wünschen Sie sich für das Seniorenheim
T. Wunderlich: Da ich noch nicht so lange hier aktiv bin, kann ich dazu nicht viel sagen. Was ich allerdings sagen kann, ist, dass ich einen sehr positiven Eindruck habe. Der Umgang mit den zu Pflegenden ist respektvoll und persönlich. Die Pflegekräfte, die ich erlebe, sind freundlich und entspannt, es herrscht keine abgehetzte Atmosphäre. Auch die Räumlichkeiten sind sehr wohnlich und nicht wie in einem Krankenhaus. Man muss sagen, dass Pflegeheime in den Medien auch anders dargestellt werden, als ich es im Seniorenheim St. Afra wahrnehme. Ja, es gibt den Pflegenotstand und natürlich ist es wichtig, dass der behoben wird. Daneben existiert in dem Seniorenheim aber auch ganz viel Leben, es ist hell und einladend.
Newsletter-Redaktion: Was motiviert Sie?
T. Wunderlich: Abgesehen von dem positiven Einfluss auf die Wahrnehmung meiner Kinder, ist es die Veränderung, die ich bei dem Bewohner sehe, den ich besuche. Er öffnet sich zunehmend und wir unternehmen auch andere Dinge, als Schach spielen. Beispielsweise waren wir im Museum. Herr G. hatte sichtlich Mühe die ganze Ausstellung zu sehen, aber es war ihm so wichtig, dass er es durchgezogen hat. Ich merke auch, dass unsere Treffen einen positiven Einfluss auf Herr G. haben.
Ich muss zugeben, dass ich den Aufwand am Anfang unterschätzt habe, denn es ist ja eben nicht nur eben mal Schachspielen. Da sitzt einem ja ein Mensch, mit einer Geschichte und Bedürfnissen gegenüber. Aber ich habe beschlossen mich darauf einzulassen und jetzt ist das Ehrenamt für mich eine ganz positive Herausforderung.
Natürlich motiviert mich auch das gute Gefühl, dass ich habe, wenn ich mich mit Herr G. getroffen habe. Anfangs dachte ich, dass ich vielleicht egoistisch sei, fühle ich mich jetzt gut, auf Kosten einer anderen Person? Aber man bekommt ein bisschen seelischen Lohn für das Ehrenamt und es ist völlig normal, dass man das auch für das gute Gefühl macht.
Newsletter-Redaktion: Was bringt es, wenn Menschen sich ehrenamtlich engagieren?
T. Wunderlich: Ich merke an mir selbst, dass ich viel geduldiger geworden bin. Früher habe ich mich bei einem Stau total aufgeregt, weil es nicht vorangeht. Hier habe ich gelernt, Situationen zu akzeptieren. Im Umgang mit den älteren Menschen geht es sowieso ganz viel um Akzeptanz, das ist entschleunigend. Im beruflichen Umfeld dagegen geht es um Weiterentwicklung, Stillstand soll es bloß nicht geben. Im Seniorenheim höre ich manche Geschichten nicht nur einmal, sondern mehrfach. Statt genervt zu unterbrechen, bringe ich dem Menschen Respekt entgegen. Ich bin geduldiger geworden und meine Frau sagt, dass ich viel besser zuhören würde. Ich gewichte die Dinge anders, wäge ab, ob Kleinigkeiten wirklich so wichtig sind. Bei der Schlange an der Supermarktkasse habe ich mich früher wirklich geärgert, wenn es an der anderen Kasse schneller ging. Heute denke ich mir, wenn ich dran bin, bin ich dran. Das Ehrenamt bringt mir Ausgeglichenheit und ich fühle mich geerdeter. Außerdem betrachte ich meine Umwelt ganz anders. Ich mache mir Gedanken über Barrierefreiheit und ich habe Verständnis mit den älteren Menschen, die für vieles vielleicht einfach etwas länger brauchen.